Alle Filme werden im Filmmuseum München
St. Jakobs-Platz 1,
im Stadtmuseum gezeigt.
Telefon :
(089) 23 39 64 50
Sollte man sie unter Artenschutz stellen? Einst waren sie die Nachwuchsriege hegemonialer Männlichkeit, dann wurden sie in eine vaterlose Gesellschaft geboren, ständig auf der Suche nach ihrer Rolle. Jetzt hören
sie öfter, XY sei was latent Toxisches. Sicher ist: Was aus dem kleinen Unterschied wird, unterliegt einer kulturellen Zuschreibung, und die wird nicht zuletzt in der Kunst verhandelt. Müssen Jungs machtvoll sein?
Dürfen sie weinen? Und wenn sie Schmerzen kennen, sind sie dann keine Indianer mehr? Von allen Künsten ist das Kino dasjenige, in dem diese Identitätsfragen am ehesten mit den Betroffenen selbst verhandelt werden.
Im Kino werden Lebensentwürfe gezeigt, gefühlt, und gleich nach dem Film angeregt diskutiert - oder imitiert. Im Kino werden allzu schlichte Modelle von Identität hinterfragt und ihre Auswirkungen auf den Rest der
Welt durchgespielt. Früher hat man die Jungs noch in den Wald geschickt - oder Schlimmeres - um sich auszuprobieren. Jetzt gehen sie ins Lichtspiel - und zwar gemeinsam. Ist doch was.
Andreas Hamburger
Sonntag 03. April 2022, 17:00 Uhr
OH BOY – Deutschland 2012 – R u. B: Jan Ole Gerster – K: Philipp Kirsamer – D: Tom Schilling, Marc Hosemann - 83 min
Einführung und Diskussion: Andreas Hamburger
Der Film, der rasch zum Geheimtipp wurde, ist eine Momentaufnahme des Aufwachsens in der verdrängten Hauptstadtgeschichte. In den dröge dahinrollenden Tag des orientierungslosen Studienabbrechers Niko (Tom Schilling)
, der eigentlich nur eine Tasse Kaffee will, schiebt sich unterschwellig die Zeit des Nationalsozialismus, die Zeit in der keiner gewesen sein will: als Einfühlungsverweigerung, bemühtes Erinnerungspathos, vor allem
aber als Sprachlosigkeit. Erst in der Begegnung mit Friedrich, einem alten Trinker (Michael Gwisdek), der sagt was wirklich her geschehen ist, kann Niko sich selbst und seine vernarbte Umgebung verstehen. Die
filmpsychoanalytische Interpretation zeigt, mit welch subtilen filmischen Mitteln diese Irrfahrt auch das Publikum einbezieht.
Sonntag 01. Mai 2022, 17:00 Uhr
Call Me By Your Name – IT, FR, US, BR 2017 - R: Luca Guadagnino - B: James Ivory, nach dem Roman von André Aciman - M: Sufjan Stevens -
K: Sayombhu Mukdeeprom - D: Timothée Chalamet, Armie Hammer, Michael Stuhlbarg, Amira Casar - 133 min
Einführung und Diskussion: Eva Friedrich, Irmgard Nagel
Es dauert eine geraume Zeit, bis aus einem Aufschieben, einer schier unendlichen Zeit ein Jetzt wird mit tiefster Leidenschaft und Nähe zwischen Elio (Timothée Chalamet), dem Sohn des Archäologen Prof. Perlman (Michael Stuhlbarg) und
seinem Assistenten Oliver (Armie Hammer). Die leisen und heftigen Gefühle des überreifen Verlangens, der Sehnsucht, der ersten Liebe sind eingefangen in eine Welt symbolhaltiger schöner Bilder eines heißen italienischen Sommers,
in kluge Gespräche, zugewandte Beziehungen, Bildung, Musik und Kunst. Wenn dieses Paradies verloren ist und der Schmerz über den Verlust überwältigend wird gibt es hier einen Vater, der fähig ist ihn aufzunehmen.
Luca Guadagnino erzählt von Männern (es gibt auch Frauen!), von den Turbulenzen des Erwachsenwerdens eines Jungen, vor allem aber dieser ersten Liebe. Dabei schafft er es zusammen mit seinem Team meisterhaft
und ohne kitschig zu werden, uns einzufangen in diese stimmige Welt voller Schönheit und Harmonie, die im Gegensatz steht zur sonst oft kalten Realität. Vielleicht berührt er so stark, weil er unwiderstehlich
eigene Erinnerungen, Sehnsüchte, Wünsche erweckt?
Alle Filme werden im Filmmuseum München, St.Jakobs-Platz 1 gezeigt.
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