Frühere Filmvorführungen

Thema - Fremde Essen

Essen – etwas Fremdes in den eigenen Körper aufnehmen. Hunger, orale Lust, Gier, Appetit, Kauen Schlucken, Verdauen – der Akt des Essens wird zur zentralen Seinsgegebenheit in unserem alltäglichen Dasein. Was und wie wir essen ist geprägt von Kultur, von technischen Fortschritten, von religiösen Ritualen, vom Kontext der lokalen, regionalen und globalen Lebenswelt. Fremdes und Vertrautes vermischen sich. Es ist allemal auch ein kommunikatives Geschehen mit der Speise, ob wir alleine, mit bekannten oder fremden Personen, zuhause oder an öffentlichen Orten, mit Stäbchen, Besteck oder den Händen essen. Die Vielfalt durchdringt uns – im Einverleiben machen wir uns das Fremde sinnlich vertraut. Der Mensch braucht bestimmte Nahrungsmittel, um zu überleben. Dies erfahren alle und jeder schmerzhaft, wenn Hunger herrscht, wenn Marktökonomie, Klima und politische Macht über Leben und Tod entscheiden. Wie viel Macht im Essen steckt und wie Eros und Thanatos auch im Essen zur Darstellung kommen, zeigt der Kontrast von Haute Cuisine und vergiftetem Essen. Ängste, Falsches oder Gesundheitsschädliches zu essen, begegnen uns in all den Debatten über das „perfekte Essen“. Unbewusste Phantasien prägen unser Geschmackserleben sowie unsere Essens-Lust oder –Unlust. „Fremde Essen“ -, ein vielfältiges sprachliches, filmisches und sinnliches Menü, das wir gemeinsam verkosten wollen.
Heidi Spanl


Sonntag 13. März 2016, 17:30 Uhr
Yin Shi Nan Nu
(Eat Drink Man Woman) – Taiwan, USA 1994 - R: Ang Lee - B: Ang Lee, James Schamus, Wang Hui-Ling - K: Jong-Lin - M: Mader - D: Lung Sihung, Yang Kuei-Mei, Wu Chien-Lien; Wang Yu-Wen – 123 min, OmU
Einführung und Kommentar: Matthias Baumgart und Katharina Leube-Sonnleitner

Der taiwanesische Witwer und Meisterkoch Chu ist der männliche „Matriarch“ in seiner Familie, versorgend und dominant. Am Anfang des Films wohnen seine drei erwachsenen Töchter Jia-Jen, Jia-Chen und Jia-Ning alle noch zuhause, in einem kleinen Haus mitten in Taipeh, wo Chu für in ein riesiges Hotel arbeitet. Jeden Sonntag bekocht der Vater die Töchter mit einem opulenten , von den Kindern trotzdem eher als Pflichtvorstellung empfundenen Festessen. Die dampfende Sinnlichkeit des geteilten „Eat Drink“ ist faszinierend fotografiert und versetzt besonders uns als westliche Zuschauer in kindliches Staunen. Allerdings ist die perfekte Kochkunst gefährdet, denn Zhu verliert allmählich seinen Geschmackssinn. Eher im Verborgenen wird der Bereich „Man Woman“ abgehandelt. Alle Protagonisten suchen irgendwie nach der richtigen Partnerschaft – ohne dass sie selbst, geschweige denn die Zuschauer anfangs recht verstehen, was genau abläuft. In Bildsprache und Handlungsabläufen thematisiert der Film damit das Schwanken zwischen traditionellen und modernen, westlichen und östlichen Kulturanteilen und Lebensentwürfen.


Sonntag 17. April 2016, 17:30 Uhr
Zimt und Koriander
(Politiki kouzini, engl. A Touch of Spice) - Griechenland 2003 – R: Tassos Boulmetis – B: Tassos Boulmetis – K: Takis Zervoulakos – M: Evanthia Reboutsika - 103 min, OmU
Einführung und Kommentar: Eva Friedrich und Heidi Spanl

Schon die Mutterbrust bedeutet für das Baby mehr als seinen Hunger zu stillen, leidenschaftlich und begehrlich besetzt es dieses oral versorgende Objekt. In allen Esskulturen spiegelt sich eine kulinarische Leidenschaft wider. In Zimt und Koriander finden wir sie in Form der Gewürzkunst, die das alltägliche aber auch politische und Liebes-Leben wesentlich beeinflusst. Türkische und griechische Kochgerichte existierten im ehemaligen Konstantinopel dann Istanbul friedlich nebeneinander ebenso wie die islamische und griechisch orthodoxe Religion. 1964 fand dies ein Ende und sehr viele Griechen mussten die Stadt verlassen. Die eigene Identität in der Fremde sowie ein Heimatgefühl zu wahren, gelang v.a. durch das Beibehalten von traditionellen Gerichten und Zubereitungsmethoden. Mit Fanis einem Jungen, der von seinem Großvater die Gewürzkunst lernte, können wir miterleben, wie sich seine Kochleidenschaft in der Fremde auswirkt und die Gastronomie eine Dekonstruktion zur Astronomie erfährt.


Sonntag 29. Mai 2016, 17:30 Uhr
Babettes Gæstebud
(Babettes Fest) - DK 1987 - R: Gabriel Axel - D: Stéphane Audran, Birgitte Federspiel, Bodil Kjer - 99 min, O mit engl. U
Einführung und Kommentar: Vivian Pramataroff-Hamburger und Andreas Hamburger

Zu den beiden einst schönen und umworbenen, inzwischen aber gealterten Töchtern eines frommen norwegischen Dorfpastors, Martine und Philippa, kommt Babette, die nach der Niederschlagung der Commune aus Paris fliehen musste. Sie verdingt sich als Magd und Köchin. Das Dorf ist geprägt vom puritanischen, genuss- und körperfeindlichen Geist des Gemeindegründers. So sind auch dessen Töchter zu alten Jungfern geworden. Babette fügt sich in das triste Dorfleben ein; aber als sie eine beachtliche Summe im Lotto gewinnt, will sie zum 100. Geburtstag des verstorbenen Pastors ein Gastmahl im französischen Stil ausrichten. Die Dorfbewohner, von den festlichen Vorbereitungen beunruhigt, beschließen kein Zeichen des Genusses zu zeigen. Wird ihnen das gelingen? Der Film nach der unter dem Pseudonym Isak Dinesen erschienen gleichnamigen Novelle von Karen Blixen wurde mit dem Oscar und dem British Film Academy Award ausgezeichnet. Er behandelt die Dialektik von Verzicht und Verführung in einer kulinarischen Metapher; unterschwellig inszeniert er das Wiederaufleben einer unterdrückten Weiblichkeit.


Sonntag 19. Juni 2016, 17:30 Uhr
Vatel
– Frankreich 2000 – R: Roland Joffé –D: Jeanne Labrune, Tom Stoppard – K: Robert Fraisse – M: Ennio Morricone – D: Gerard Dépardieu, Uma Thurman, Tim Roth - 99 min, OmU
Einführung und Kommentar: Mathias Lohmer und Corinna Wernz

Als Abschluss dieser Reihe präsentieren wir das optisch opulente Historiendrama „Vatel“, das im Frankreich des 17. Jahrhunderts spielt. Fraincois Vatel, eine historische Figur, war der berühmteste Koch und Zeremonienmeister in der Zeit Ludwigs des XIV. Der Film zeigt die überwältigende Choreographie der Vorbereitungen zu einem luxuriösen dreitägigen Fest, in dem der Prinz von Condé seinen Monarchen „gnädig“ stimmen will. Während des Festes selbst kulminieren intrigante Verwicklungen, Liebeshändel und höfische Machtspiele, die schließlich zum Eklat des Selbsttötung Vatels führen. Und in dieser Welt des alles entscheidenden, überbordenden Banketts, des drohenden Bankrotts und der ungehemmten Vergnügungssucht spielen die Speisen und ihre aufwendige Beschaffung und Zubereitung als Metapher der politischen Spannungen und Klassengegensätze eine bildmächtige Rolle.



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